Jeder weiß, dass dem Handwerk „goldener Boden“ nachgesagt wird. Gemeint ist damit die Krisenfestigkeit des Handwerks und die damit verbundene Sicherheit, womöglich auf Lebenszeit durch die Aneignung eines Handwerks gut und dauerhaft abgesichert zu sein. Doch viel mehr als das Handwerk, haben wenige Berufe und Tätigkeiten alle Krisen, Kriege und Zeiten so durchgreifend überdauert, wie die Händlertätigkeit. Wer kennt sie nicht, die berühmten Sagen und Erzählungen aus „1000 und eine Nacht“. Sie haben unser Bild und unser Verständnis vom Orient gebildet und geprägt. Jedem Reisenden in den Orient schweben sie zuvor etliche Male vor das geistige Auge – die Karawanen, die Basare, die vielen Gewürze, Stoffe, Krüge und Speisen der Händler. Sie bauen die Waren ansprechend auf, begrüßen wortreich mit wohltuendem Scharm den Reisenden in seiner eigenen Sprache und verstehen es selbst unbedeutende Waren von geringer Qualität mit einer unvergleichlichen Inbrunst und dem Brustton der Überzeugung anzupreisen. Kommt es aber vor, dass ein Händler nach Goldwaren gefragt wird, beginnen seine dunklen Augen selber den Goldausdruck anzunehmen und glitzern wie lupenreine Diamanten. Diskret wird der vorsichtig fragende Kunde in den Seitenraum gebeten, Wasser, Tee und Süßigkeiten werden schnell gereicht, während der Kunde sich im klimatisierten Raum hinsetzen darf. Mit dieser Frage wurde ein bestimmter „Knopf“ in der Seele des orientalischen Händlers gedrückt, der sogenannte „Goldknopf“. Innerhalb weniger Minuten wird der okzidental angezogene und wirkende Kunde von Brüdern und Cousins des Händlers umgeben, die bereit sind jeden Wunsch von den Lippen des Kunden abzulesen, wenn er nur bereit ist die goldenen Ringe, Ohrringe, Uhren und Broschen zu begutachten und anzuprobieren. Die Luft ist klimatisiert gekühlt, aber hoffnungsschwanger von den Erwartungen der überfreundlichen Händler. Alles wartet auf den Moment, wo der Kunde frohen Urlaubsmutes die versteckte Geldbörse hervorholt und die zuvor erprobten goldenen oder vergoldeten Waren bezahlt, um diese hernach stolz sein Eigen nennen zu dürfen. Falls aber überraschenderweise selbiger Kunde, nachdem er sich von der überquellenden Gastfreundschaft gestärkt, statt der Geldbörse eigenes mitgebrachtes Altgold, Schmuck, Bruchgold, Zahngold, Uhren und weitere Goldgegenstände auf dem Händlertisch ausbreitet, um diese goldigen und wertvollen Stücke zum wohlfeilen Ankauf oder sogar Tausch anzubieten, ist die sprichwörtliche orientalische Gastfreundschaft innerhalb von Sekunden dem innewohnenden Zauber eines Fast-Food-Restaurants gewichen. Handel hat ganz sicher goldenen Boden, wenn er auf kaufende Kunden trifft. Niemals schmerzt die orientalische Seele mehr, als wenn sich hinter das Gesicht des vorher vermuteten wohlhabenden Kunden, nur eine alte, aber diskrete Krämerseele befindet. (mf)
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