Die Recherche in Gesetzesmaterialien - Auf der Suche nach dem Willen des historischen Gesetzgebers
Jeder Jurastudent lernt es: Es gibt vier Methoden, Gesetze auszulegen: Die Auslegung nach dem Wortsinn, nach dem systematischen Zusammenhang der Norm, nach der Gesetzeshistorie und nach Sinn und Zweck der Norm. Die Auslegung nach der Gesetzeshistorie trifft sich, soweit sie auf die Entstehungsgeschichte der Norm zurückgreift, mit der Auslegung nach Sinn und Zweck. Es geht nämlich bei ersterer um die Ermittlung des subjektiven Willens des historischen Gesetzgebers, während es bei letzterer um einen objektiven Sinn und Zweck geht - was Anlass zu tiefschürfenden rechtstheoretischen und rechtsphilosophischen Betrachtungen geben kann - hier aber nicht soll. Hier genügt festzuhalten, dass es sinnvoll sein kann, den Willen des historischen Gesetzgebers zu eruieren. Im Folgen gibt es ein paar Hinweise, wie man das macht.
Im Grunde ist alles ganz einfach: Man muss nur wissen, was die an dem Gesetzgebungsvorhaben Beteiligten gewollt haben. Allerdings gibt es das Problem, dass einige der an Gesetzgebungsvorhaben Beteiligten nichts gesagt haben, aber etwas gewollt und gedacht haben - und das Gedachte und Gewollte manchmal wohlweislich verschwiegen haben. Der historischen Gesetzesauslegung bleibt aber nichts anderes übrig, als davon auszugehen, dass die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten redlich waren und das gesagt haben, was sie jeweils gedacht und gewollt haben.
Um herauszufinden, was die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten jeweils gesagt haben, ist es mehr als hilfreich, wenn man weiß, wer denn überhaupt am Gesetzgebungsverfahren beteiligt war und wie das Gesetzgebungsverfahren abläuft. Es gibt in den Ländern zwei, im Bund drei Wege, wie ein Gesetzgebungsverfahren beginnt: Entweder die jeweiligen Regierungen bringen einen Gesetzesantrag in das parlamentarische Verfahren ein oder die Fraktionen im Land- bzw. Bundestag tun das oder - nur im Bund - der Bundesrat wird aktiv. In Zeiten des Internets braucht man auch gar nicht mehr in staubigen Bibliotheken herumzusuchen, über die Webseiten der Landtage bzw. des Bundestages und des Bundesrates sind die Gesetzesanträge als Drucksachen verfügbar. Sie werden gedruckt, weil die Parlamentarier sie lesen und beraten sollen. Und freundlicherweise fügt man den Gesetzesanträgen meist eine Begründung hinzu, damit der Parlamentarier versteht, was denn die vielen Normsetzungsbefehle überhaupt bedeuten und was man mit den Regelungen erreichen will. Und wenn sich in Parlament und Ausschüssen nichts Weltbewegendes mehr tut, insbesondere keine Änderungen aufgenommen werden, kann man - wenn sich aus anderen Materialien keine gegenteiligen Anhaltspunkte ergeben - davon ausgehen, dass die Parlamentarier den aus der Begründung ersichtlichen Regelungszweck in ihren Willen aufgenommen haben ...
Allerdings möchte man manchmal mehr wissen, als das, was in der gedruckten Begründung steht. Da ist bisweilen interessant, mal in die Vorarbeiten für den Gesetzesantrag zu schauen. Das ist nicht immer möglich, aber bei wichtigen Gesetzesvorhaben veröffentlichen die Ministerien Referentenentwürfe und manchmal auch Materialien zu einer eventuell durchgeführten Beteiligung von Verbänden und Organsiationen. Bei aktuellen Gesetzesvorhaben bzw. Gesetzen lohnt sich ein Blick in die Webseiten des Ministeriums durchaus. Oftmals ist der Ministerialbeamte, der einen Gesetzesantrag entworfen hat, der einzige, der wirklich versteht, was mit dem Gesetz geregelt und bezweckt werden soll. Schreibt ein solcher Beamter ein Kommentar zu diesem Gesetz, sollten uns dessen Auffassungen zu denken geben ...
Stellen Fraktionen einen Gesetzesantrag, dann ist nicht auszuschließen, dass der Gesetzesantrag doch aus der Feder eines Ministeriums stammt - aber da das nicht ganz korrekt ist, weil nämlich Parlament und Regierung im gewaltenteilenden Staat sich auch im Gesetzgebungsverfahren gegenseitig konstruktiv kritisch begleiten sollen, gibt es natürlich kein Material aus der Hand des Ministeriums. In der Bundesgesetzgebung kommt es vor, dass der Bundesrat ein Gesetz initiiert. Dieses muss die Bundesregierung an den Bundestag weiterleiten und kann eine Stellungnahme beifügen, die natürlich auch als Drucksache veröffentlicht wird. Und wenn die Bundesregierung einen Gesetzesantrag einbringen will, dann leitet sie ihn vorher dem Bundesrat zur Stellungnahme zu. Dann gibt es Materialien aus den Ausschüssen und dem Plenum des Bundesrates zu diesen Gesetzesanträgen.
Dort passiert nämlich das vorher, was nun im Parlament nachher passiert: Der Gesetzesantrag wird beraten. In der ersten Lesung wird ein Gesetzesantrag regelmäßig in die Ausschüsse überwiesen. Erfolgt dazu im Parlamentsplenum eine Aussprache, kann man diese in den Plenarprotokollen, die über die Server der Parlamente recherchiert werden können, nachlesen. In die Ausschüsse wird überwiesen, weil auch der Abgeordnete kein Tausendsassa ist und weder alles lesen noch alles verstehen kann. Da verlässt man sich auf die Spezialisten. Die Spezialisten unter den Parlamentariern sollen in den Ausschüssen sitzen. Die Ausschussprotokolle sind leider nicht durchgängig auf den Webseiten der Parlamente recherchierbar. Hier kann es sein, dass man, wenn man denn wissen will, was dort geredet wurde, doch mal in dunkle Archive steigen muss ... Da in den Ausschüssen die eigentliche Parlamentsarbeit getan wird, kann man manche Wendung im Gesetzgebungsverfahren nur verstehen, wenn man weiß, was in den Ausschüssen geschah. Kam der Antrag von den Fraktionen, gab es vielleicht auch eine Stellungnahme der jeweiligen Regierung. Haben die Ausschüsse beraten, liegt dem Parlament in zweiter Lesung der Gesetzesantrag mit Ausschussempfehlungen, gegebenenfalls einem Bericht der Berichterstatter des federführenden Ausschusses und Anträgen der Fraktionen vor. dann kann die Debatte im Parlament losgehen. Und damit man bei der Auswertung der Debattenbeiträge nicht auf das falsche Gleis gerät: Ausschlaggebend für die historische Auslegung sind meist die Beiträge der Abgeordneten, deren Fraktionen das spätere Gesetz tragen ... Im Bundestag gibt es eine zweite Lesung und eine oft unmittelbar anschließende dritte Lesung. In den Landesparlamenten ist eine dritte Lesung regelmäßig nur auf Verlangen des Landtagspräsidenten oder der Regierung vorgesehen. Ein Verlangen der Regierung kommt aber in der Praxis kaum vor. Die Regierung will es sich ja mit der Parlamentsmehrheit nicht verscherzen. In der Bundesgesetzgebung wird der Gesetzesbeschluss noch dem Bundestag vorgelegt, der - regelmäßig nach Ausschussberatungen - berät und gegebenenfalls den Vermittlungsausschuss anrufen kann. Dessen Beschlussempfehlungen sind - auslegungstechnisch gesehen - meist das Papier nicht wert, auf dem sie stehen, weil es meist an einer Begründung fehlt, was manchmal daran liegt, dass der eigentliche Einigungsprozess außerhalb des Ausschusses stattfindet. Die Schlussakte, nämlich die Ausfertigung und Verkündigung des Gesetzes, sind auslegungstechnisch uninteressant. Es sei denn das verkündende Organ hat Bedenken geäußert, dass das Gesetz verfassungsgemäß zustande gekommen ist ...
Da das alles nur eine grobe Vorstellung vom Ablauf eines Gesetzgebungsverfahrens geben kann, rate ich dem, der nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sucht: Mache dich erst mit dem jeweiligen Gesetzgebungsverfahren vertraut und dann schau in die Archive! Welche Webseiten eine bequeme Recherche gemütlich vom heimischen Sessel aus ermöglichen, das erfährt man auf www.Justiz-und-Recht.de Viel Spaß!
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